Interview mit Christian Bissinger – Präsident des DFJA

Foto von Christian Bissinger, dem Präsidenten des Deutsch-Französischen Jugendausschusses und Student in Deutschland und Frankreich. Neben ihm ist das Logo von "La parole est à vous" abgebildet.

Im Rahmen unserer Serie „La parole est à vous – Sie haben das Wort“ spricht EuroRekruter mit Menschen, die im deutsch-französischen Kontext aktiv sind. In dieser Ausgabe berichtet Christian Bissinger von seiner Arbeit als Präsident des DFJA, dem Deutsch-Französischen Jugendausschuss e.V., von seinem deutsch-französischen Studium und davon, wie sein Interesse für deutsch-französische Themen entstanden ist.

Könntest du dich kurz vorstellen?

Mein Name ist Christian Maurice Bissinger, ich bin in Süddeutschland aufgewachsen, 24 Jahre alt und habe zwei Jahre Politikwissenschaften am deutsch-französisch europäischen Campus Nancy von SciencesPo Paris studiert. Gerade absolviere ich meinen Erasmus-Studienaufenthalt an der Lunds Universitet im Süden Schwedens.

 

Woher kommt dein Interesse für deutsch-französische Themen?

Mit dem Hintergrund in einer deutsch-französischen Familie aufgewachsen zu sein, bin ich über den AbiBac-Zug meines Gymnasiums und schulische Austausche unseres Symphonieorchesters oft nach Frankreich gereist. In besonderem Maße haben das Engagement meiner Mutter für eine Städtepartnerschaft mit Autun in der Bourgogne und unsere familiären Wurzeln in die Normandie / die Auvergne dazu beigetragen, dass ich mich für den Austausch beider Länder und die französische Sprache und Kultur zu interessieren begann. Daraus ist eine der innigsten Freundschaften unserer Familie entstanden. Der Aufenthalt in einer Gastfamilie in einem 200-Seelen Dorf im französischen Jura mit Besuch des Lycée und ein Deutsch-Französischer Freiwilligendienst am Goethe-Institut Nancy haben mich dazu bewogen, mich für einen Studienplatz am deutsch-französisch europäischen Campus Nancy von SciencesPo Paris zu bewerben. Aus diesen und anderen Erfahrungen ist dann bei mir über die Zeit auch ein vertieftes Interesse für das europäische Projekt entstanden.

 

Du bist sowohl in Deutschland als auch in Frankreich zur Schule gegangen und bikulturell aufgewachsen. Für deinen Erasmus-Studienaufenthalt hast du dich dazu entschieden, in Schweden zu studieren. Wie kommt es dazu?

Im Kontext des 60-jährigen Jubiläums des Elysée-Vertrages und des russischen Angriffskrieges in der Ukraine, wie auch den daraus resultierenden politischen, wirtschaftlichen und sozialen Konsequenzen wurde das couple franco-allemand des Öfteren mit Dissonanz assoziiert. Anstatt an einem Strang zu ziehen, wird moniert, dass jedes Land verstärkt seine Partikularinteressen durchsetzen möchte, anstatt gemeinsam für die EU eine Vorreiterrolle einzunehmen.

Nach zwei Jahren Studium in Nancy habe ich gemerkt, dass ich gerne eine andere und vielleicht kritischere Perspektive auf das Europa, wie ich es bisher er- und gelebt habe, bekommen wollte. Die geografische Nähe Südschwedens zu Dänemark, wie auch der horizontale Studienansatz und die verstärkte akademische Freiheit haben für sich gesprochen. Generell könnten sich Deutschland und Frankreich vom niedrigschwelligen Zugang zu Bildungschancen nach dem Gymnasium und pädagogischen Ansätzen in Schweden inspirieren lassen. Dieser egalitäre Ansatz lässt sich auch auf andere Bereiche, wie beispielsweise die Elternzeit übertragen. Ich denke, ich werde mit einem anderen Selbstverständnis zurückkehren und hoffe, die in Schweden gesammelten Erfahrungen gewinnbringend in unseren Verein einbringen zu können.

Seit 2021 bist du aktives Mitglied im Deutsch-Französischen Jugendausschuss e.V. und seit November letzten Jahres Präsident dieses Vereins. Kannst du uns die Ziele und die Tätigkeit des DFJA/CFAJ näher vorstellen? Wer kann Mitglied werden und wie kann man sich dann konkret engagieren?

Mit aktuell ca. 160 Mitgliedern in Deutschland und Frankreich besteht unser Ziel darin, die deutsch-französischen Beziehungen -aktuell und in der Zukunft- zwischen jungen Menschen in Europa zu denken und zu gestalten. Mit einem Sitz in beiden Ländern ist es hierbei auch einfacher, Projekte beidseits des Rheins zu organisieren und zu finanzieren. Der Jugend beider Länder eine stärkere Stimme im öffentlichen und politischen Raum zu geben und gehört zu werden und mehr Menschen, wie auch neue Zielgruppen für den deutsch-französischen Austausch zu gewinnen, ist uns hierbei ein besonderes Anliegen.

Konkret kann sich jede oder jeder Interessierte im DFJA engagieren, die oder der einen Beitrag zur Gestaltung der deutsch-französischen Beziehungen in einem europäischen Kontext leisten möchte. Hierbei ist die Vereinsarbeit sehr flexibel, da wir uns oft über größere Distanzen koordinieren. Es gibt unterschiedliche Projekte, wobei jeder seine persönlichen Akzente, je nach Fähigkeiten setzen kann, ob dies im Bereich Projektmanagement ist, in der Kommunikation oder den Finanzen. Jede und jeder ist bei uns willkommen!

Betrachtet man die sinkenden Zahlen der Lernenden der Sprache des jeweiligen Partnerlandes an, so gibt es in beiden Ländern Bedarf, hierzu beispielsweise über das Neudenken von Städtepartnerschaften oder auch Schüleraustauschen Abhilfe zu schaffen. Konkret ermöglicht unser alljährlich stattfindendes „Intergenerationellen Forum” jüngeren und älteren Menschen in den Dialog zu treten und beispielsweise zukunftsfähige Konzepte für Städtepartnerschaften zu erarbeiten. Unsere Broschüre „101 Ideen für die deutsch-französische Freundschaft“ bietet hierzu Inspiration. Ein anderes Projekt stellt das Ideenlabor „lab franco.allemand“ dar. Hierbei unterstützen wir ehrenamtliche Strukturen dabei, innovative Ideen umzusetzen und mehr junge Menschen einzubinden.

Dem Couple Franco-Allemand wird manchmal vorgeworfen, exklusiv statt inklusiv zu sein. Mit unserem Antidiskriminierungsworkshop möchten wir unseren Beitrag dazu leisten, das Wissen der Teilnehmenden zum Thema Kolonialismus und dessen Aufarbeitung in Deutschland und Frankreich zu erweitern, sowie zu Vielfalt und Empowerment und deren Rolle im Kampf gegen Rassismus zu reflektieren.

 

Du bist seit Anfang deines Engagements beim DFJA im Projektteam des deutsch-französischen Podcasts „Figures Franco-Allemandes“ mit dabei. Welche Idee steckt dahinter und was erwartet die Zuhörer*innen?

Mit „Figures Franco-Allemandes“ möchten wir verschiedene persönliche, politische, gesellschaftliche und kulturelle Geschichten erzählen, die die deutsch-französische Freundschaft ausmachen. Die Grundidee hinter dem Podcast bestand darin, einem möglichst breiten Publikum in verständlicher Weise Einblicke in die Arbeit und Erfahrung von Akteur*innen des Franco-Allemand aus den Bereichen Zivilgesellschaft, Kultur, Wissenschaft oder Unternehmenswelt zu ermöglichen. Unterschiedlichste Arbeits- und Lebenswelten abzubilden und zu zeigen, welch zahlreiche Möglichkeiten es gibt, diese zu erleben und selbst mitzugestalten ist uns hierbei besonders wichtig.

Nachdem wir uns letztes Jahr beispielsweise den französischen Parlaments- und Präsidentschaftswahlen gewidmet und uns Gedanken über die Zukunft Europas gemacht haben, bereiten wir aktuell eine Podcastfolge zum Zustand des Spracherwerbs in beiden Ländern vor, die sich verschiedenen Sichtweisen von Schüler*innen, Lehrenden und Eltern zu diesem Thema widmet und zu unterschiedlichen Lösungsansätzen reflektiert. Eine weitere Folge zum Thema deutsch-französische parlamentarische Kooperation ist ebenfalls in der Planung.

 

Du kennst dich mit der deutschen und der französischen Lebensweise durch deine persönlichen Erfahrungen bereits gut aus. Welche kulturellen Unterschiede sind für dich am stärksten spürbar?

Wenn ich persönlich an das französische Savoir-vivre denke, kommt mir direkt die vielfältige Käse- und Weinkultur in den Sinn. Schaut man sich die Bildungssysteme beider Länder an, so unterscheiden sich die pädagogischen Ansätze, gerade vor der Berufsausbildung oder dem Studium zum Teil stark. Natürlich ist es immer schwierig persönliche Erfahrungen zu generalisieren, aber ich habe den Eindruck, dass das deutsche System durch seine dialogorientierte Herangehensweise die individuelle Autonomie fördert, was sich gerade in der nachschulischen Zeit zeigt. Wenngleich sich dieses Muster in der geringen wahrgenommenen Attraktivität eines Stage civique oder Gap years in Frankreich widerspiegelt, so denke ich, dass es bereichernd sein kann, beide Bildungssysteme kennenzulernen, um eventuelle Vor- und Nachteile abzuwiegen.

Überträgt man diese Gedanken auf einen deutsch-französischen Kontext, so ist es von entscheidender Bedeutung, diese Erfahrungen einem möglichst breiten Publikum zugänglich zu machen und somit soziale Mobilität zu fördern.  Der generelle Anspruch des franco-allemand sollte dementsprechend darin bestehen, das europäische Projekt möglichst bürgernah und inklusiv zu gestalten, sodass über die Beziehung zwischen beiden Ländern hinaus Ansätze verfolgt werden können, die Akteure auf nationaler, transnationaler und EU-Ebene verbindet. Hierbei sind Städtepartnerschaften ein Beispiel, wie man Büger*innen näher zusammenbringen, Vorurteile abbauen und Sprachbarrieren reduzieren kann.

Unser alljährlich stattfindendes Projekt „Intergenerationnelles Forum“ ist hierbei ein Tool, wie man jüngere und ältere Personen, die sich für die deutsch-französischen Beziehungen interessieren, zusammenbringen kann und es diesen ermöglicht, sich über individuelle Erfahrungen austauschen und neue Ideen und Konzepte für Städtepartnerschaften und Deutsch-Französische Gesellschaften entwickeln zu können. Wenn ich mich auf meine Schulzeit zurückbesinne, so waren es insbesondere Schüleraustausche, die mich dazu animierten, meine Austauschpartner näher kennenlernen und bisher Bekanntes in gegebenem Kontext hinterfragen zu wollen.

 

Gibt es deiner Meinung nach einen bestimmten Aspekt, in dem die Deutschen noch von den Franzosen lernen könnten?

Auf politischer Ebene würde ich mir wünschen, dass die Bundesregierung mehr auf Initiativen der französischen Seite eingeht. Hierbei reflektiert sich die sehr verhaltene Reaktion der deutschen Seite auf Macrons Initiative für Europa, die er in seiner Sorbonne Rede 2017 vorstellte, teilweise in der schleichenden Umsetzung des Aachener Vertrags von 2019. Hierbei könnte beispielsweise die Experimentierklausel, welche bei bestimmten Projekten Ausnahmen von nationalem Recht ermöglicht, noch verstärkt Anwendung finden.

Ich denke, dass die Gründung des Ausschusses für grenzüberschreitenden Zusammenarbeit ein guter Schritt ist, um den Austausch verschiedener Interessengruppen und Akteure auf nationaler, regionaler und lokaler Ebene zu vertiefen und allgemein grenzüberschreitende Kooperation zu verstärken. Der aus dem Aachener Vertrag hervorgegangene deutsch-französische Bürgerfonds stellt hierbei einen wichtigen Beitrag dar, um Projekte rund um die deutsch-französische Kooperation und europäische Verständigung besonders von zivilgesellschaftlichen Akteuren finanziell und ideell zu unterstützen.  Jedoch sollte man das Franco-Allemand in seiner europäischen Dimension über die Grenzregion hinaus betrachten und Projekte unterstützen, die dieses ebenfalls dort fördert, wo es weniger greifbar ist, wie beispielsweise in Ostdeutschland oder der spanisch-französischen Grenzregion.

 

Kannst du uns etwas zu deinen zukünftigen Projekten, wie auch Projekten des DFJA erzählen?

Persönlich werde ich im September mein Masterstudium in Paris an der École d’Affaires Publiques anfangen und freue mich, nach Frankreich mit einer etwas anderen Sichtweise zurückzukehren. Über die Mandatslänge von zwei Jahren beim DFJA habe ich mir zum Ziel gesetzt, das Franco-Allemand für Europa in der Zukunft inklusiver zu gestalten, Stimmen der jüngeren Generation gerade zu den Themen wie zivilgesellschaftlicher Kooperation, Nachhaltigkeit und Mobilität mehr Raum zu geben und innerhalb unseres Vorstandes beispielsweise die Kommunikation noch effizienter zu gestalten.

Was konkrete Projekte betrifft, so sind wir aktuell in der Planungsphase unseres diesjährigen Visionstreffens in Strasbourg, wobei neben dem Erarbeiten von inhaltlichen Elementen ebenfalls der Austausch mit neuen Projektpartnern aus der französischen Zivilgesellschaft geplant ist. Des weiteren sind aktuell Projekte zum 60-jährigen Jubiläum der Unterzeichnung des Elysée-Vertrags mit deutschen und französischen Lokalablegern der „Young European Federalists“ geplant.  Ende dieses Jahres werden wir uns am alljährlichen Deutsch-Französischen Jahreskongress in Versailles beteiligen, der abwechselnd von der „Vereinigung Deutsch-Französischer Gesellschaften für Europa e.V.“ in Deutschland und ihrem französischen Pendant, der „Fédération des Associations Franco-Allemandes pour l’Europe“ in Frankreich organisiert wird.
Da die Arbeit beim DFJA auf dem ehrenamtlichen Engagement unserer Mitglieder beruht, die hierfür ihre individuelle Freizeit aufwenden, bin ich umso glücklicher, dass unsere Veranstaltungen größtenteils wieder in Präsenz stattfinden können, denn dies ist der Kern eines gut gelebten und nachhaltigen Austausches: gemeinsam und dialogbasiert.

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