Interview mit Birgit Holzer – Deutsche Journalistin in Frankreich

Das Bild zeigt Birgit Holzer, eine deutsche Journalistin in Frankreich und neben ihr das Logo der Serie "La parole est à vous"

Im Rahmen unserer Serie „La parole est à vous – Sie haben das Wort“ spricht EuroRekruter mit Menschen, die im deutsch-französischen Kontext aktiv sind. In dieser Ausgabe berichtet Birgit Holzer, deutsche Journalistin in Frankreich, von ihrer persönlichen und professionellen Beziehung zu unseren französischen Nachbarn.

Sie sind beruflich im deutsch-französischen Bereich tätig. Können Sie sich und Ihre Arbeit kurz vorstellen?

Mein Name ist Birgit Holzer, ich bin 1981 in Kelheim bei Regensburg geboren und dort auch aufgewachsen. Nach dem Abitur habe ich in Augsburg und Lille Neuere Deutsche Literaturwissenschaft, Kommunikationswissenschaft und Europäische Ethnologie studiert und studienbegleitend eine Ausbildung bei der katholischen Journalistenschule ifp absolviert, Praktika unter anderem in Flensburg und Stuttgart, bei arte in Straßburg, bei einem Online-Medium in Paris und einem Radiosender in Montréal gemacht. Nach einem zweijährigen Zeitungsvolontariat, also einer redaktionellen Ausbildung, bei der Mittelbayerischen Zeitung in Regensburg ging ich 2009 nach Paris. Dort arbeite ich seither als Frankreich-Korrespondentin für rund ein Dutzend deutsche und österreichische Tageszeitungen, darunter die Augsburger Allgemeine Zeitung, die Neue Osnabrücker Zeitung, die Zeitungen des Redaktionsnetzwerks Deutschland (RND) und die Salzburger Nachrichten. Außerdem schreibe ich für das Magazin der Deutsch-Französischen Industrie- und Handelskammer (AHK) und bin ab und zu bei französischen Fernseh- oder Radiosendungen eingeladen, um einen deutschen Blick auf das Geschehen in Frankreich abzugeben.

Woher kommt Ihr Interesse für deutsch-französische Themen? / Was hat Sie inspiriert, nach Frankreich zu gehen?

Meine Frankreich-Begeisterung begann in der Schule – erst durch das Lernen der Sprache, dann vor allem durch einen Schüleraustausch mit Verdun. In meiner Familie gibt es keinen Frankreich-Bezug, wir fuhren nie dorthin in Urlaub und doch hat sich bei mir ein großes Interesse entwickelt, ausgehend von dieser positiven Austausch-Erfahrung und einer Faszination für eine Kultur, die der deutschen ähnlich und doch so ganz anders ist. Während meines Studiums habe ich mich bemüht, mehrmals nach Frankreich zu gehen und als ich die Möglichkeit bekam, 2009 eigentlich nur für einen sechsmonatigen Nebenjob nach Paris zu kommen, nahm ich unbezahlten Urlaub bei meinem damaligen Arbeitgeber – und wagte den Sprung. Vor Ort kontaktierte ich dann etliche Zeitungen und so ergab sich, dass ich meinen heutigen Posten fand, der wirklich mein Traumjob war: Als Korrespondentin aus Frankreich berichten und somit das Land tiefgreifend kennenlernen und erleben zu dürfen.

Als deutsche Journalistin in Frankreich sind Sie mit vielen aktuellen Themen beschäftigt. Wie wählen Sie aus, welche Artikel Sie zu welchen Themen verfassen? Gibt es Themen, die Ihnen besonders am Herzen liegen?

Im Allgemeinen gibt mir die Aktualität vor, mit welchen Themen ich mich befasse, auch wenn ich natürlich einen gewissen Spielraum habe. Es geht ja immer darum, die aktuellen Vorgänge oder auch Debatten in Frankreich meinen deutschen Leserinnen und Lesern zu vermitteln. Auch erhalte ich viele Anfragen von den Redaktionen selbst, die mich um Artikel zu bestimmten Themen bitten – das kann ein Vergleich mit Deutschland sein, beispielsweise das Krisenmanagement in der Pandemie, oder ein anderes Thema, das in den deutschen Medien aufscheint. Ich decke mehrere Ressorts ab, Politik, Wirtschaft, Kultur, Buntes/Panorama oder auch mal Reisethemen. Persönlich schreibe ich gerne gesellschaftskritische Stücke, ob das die Organisation der Kinderbetreuung in Frankreich ist, das politische Abdriften nach rechts oder die Frage, wie die Terrorattentate der vergangenen Jahre das Land geprägt haben. Aber ich mag auch gerne leichtere Themen, ob das ein Artikel über den Ausbau der Radwege in Paris ist oder über das Dorf Camembert, nach dem der Käse benannt wurde. Nun steht ja der Präsidentschaftswahlkampf an, was sicherlich sehr interessante Monate werden, in denen die Aufmerksamkeit für Frankreich erhöht sein wird. Wichtig ist dann auch, nicht nur aus Paris selbst zu berichten, sondern sozusagen den „Puls“ im Land zu fühlen.

Welche Themen kehren im deutsch-französischen Kontext regelmäßig wieder?

Das deutsch-französische Verhältnis ist ein Thema, das immer wiederkommt: Wo kann man sich annähern, wo ist man sich uneinig? Wie funktioniert das Duo Kanzlerin (oder künftig Kanzler)/Präsident miteinander? So wird beispielsweise die Berichterstattung über die französische Energiepolitik und das starke Setzen auf Atomkraft auch ein europäisches und deutsch-französisches Thema. Der deutsch-französische Freundschaftstag am 22. Januar ist immer ein geeigneter Anlass, gegenseitige Besuche und gemeinsame Pressekonferenzen sind auch immer wieder Thema. Und nicht zuletzt fällt seit Jahren auf, wie stark sich französische Politiker an Deutschland orientieren, es als Beispiel – meist in positiver Hinsicht – zitieren und ihr Land auch im Verhältnis zu Deutschland spiegeln. In fast jeder großen Rede des Präsidenten wird das Nachbarland erwähnt, aber auch in TV-Debatten zum Präsidentschaftswahlkampf. Deutschland ist in Frankreich mehr eine Referenz als andersherum.

Sie leben schon einiger Zeit in Frankreich. Was halten Sie von der französischen Lebens- und Arbeitsweise?

Natürlich mag ich die französische Lebensweise – die Art, wie man andere bei sich empfängt, wie man einen Apéro organisiert, oder auch, welch großen Wert man auf gute Lebensmittel legt. Und die Freiheit, ohne schlechtes Gewissen und Belehrungen anderer Verkehrsteilnehmer trotz roter Ampel über eine Straße zu spazieren, wenn kein Auto kommt! Ich erlebe die Franzosen im Allgemeinen als hochgradig politisch interessiert, sehr großzügig, sie legen großen Wert auf persönliche Begegnung. Schwieriger finde ich ein gewisses Schubladendenken – ein Beispiel: Kinder müssen auf diese oder jene Schule gehen, diesen Zweig wählen, diese Uni, um zu reüssieren. Auch der frühe Druck auf Kinder in den Schulen, wo in meinen Augen zu viel Frontalunterricht herrscht, macht mir Sorgen. Die französische Verwaltung erscheint mir oft schwerfällig: Wenn ich einmal pro Jahr an einer französischen Uni ein zweistündiges Seminar gebe, folgt jedes Jahr wieder ein Rattenschwanz an Dokumenten und auszufüllenden Formularen, um irgendwann nach vielen Monaten das Honorar zu erhalten. Auch ist es in der Arbeit manchmal mühsam, keine Rückmeldung auf Emails zu erhalten nach dem Motto: Keine Antwort ist auch eine Antwort. Trotzdem ist die französische Arbeitsweise insgesamt nicht weniger effizient oder angenehm als die deutsche.

Gibt es Ihrer Meinung nach einen bestimmten Aspekt, in dem die Deutschen noch von den Franzosen lernen könnten?

Da gibt es sicherlich etliche! Beispielsweise wie erwähnt die Art, Gäste zu empfangen, sich Zeit für andere zu nehmen, gemeinsam zu essen und zu genießen, andere auch mal einzuladen, anstatt jeden Cent aufzurechnen. Also diese große Bedeutung der persönlichen Beziehungen, auch innerhalb der Familien, die eine wichtige Rolle spielen. Eine gewisse Menschlichkeit im Umgang miteinander – der Busfahrer, der schon losfuhr und dann doch noch einmal anhält, weil ein Nachzügler noch zusteigen möchte, die Polizistin, die nochmal ein Auge zudrückt, anstatt einen Strafzettel zu verteilen. Ich nehme hier großes politisches Interesse – wenn auch oft verbunden mit pauschaler Dauer-Kritik – wahr, Interesse am eigenen Land, an seiner Geschichte.  Und noch ein Beispiel für die Vorbildfunktion ist sicherlich die SNCF, deren Züge im Allgemeinen sehr gut und zuverlässig funktionieren und die ermöglicht, in wenigen Stunden von Paris am Mittelmeer oder in Bordeaux zu sein. Es ist eben ein anderes System, auch auf der Schiene.

Was sind Ihre deutsch-französischen Projekte für die Zukunft?

Mein jüngstes deutsch-französisches „Projekt“ ist ein knappes Jahr alt und braucht viel Aufmerksamkeit, damit es zu einer selbstbewussten, weltoffenen, bikulturellen kleinen Deutsch-Französin heranwächst. Ansonsten erscheint im Februar 2022 mein Paris-Reiseführer in der Serie „Stadt-Abenteuer“ des Michael-Müller-Verlags. Und ich möchte sicherlich weiter für meine Zeitungen aus und über Frankreich berichten, vielleicht künftig nicht nur schreibenderweise, sondern mittels eines Podcasts, wenn die Zeit es erlaubt.

Titelportraitfoto: Jean-François Deroubaix

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